Synthese in der Trauma-Therapie

visualization of synthesis in trauma therapy

Synthesearbeit in der Traumatherapie

Die Synthese ist eine natürliche, mentale Handlung und ein automatischer Prozess, bei der zusammengehörende Aspekte einer Erfahrung miteinander verknüpft werden und zwischen ihnen so differenziert (personifiziert, realisiert, präsentifiziert) wird, dass eine stimmige und zusammenhängende Erinnerung etabliert wird. In der synchronen Synthese erschaffen wir unser phänomenales Selbst von Moment zu Moment, d.h. alle 2 Sekunden, immer wieder neu, die diachrone Synthese verknüpft wiederum alle vergangenen Synthesen miteinander und erzeugt die Wahrnehmung einer linearen Zeitachse, auf der sich unser phänomenales Selbst bewegt. Eine gelungene Synthese etabliert also unser phänomenales Selbst (das Gefühl der Ichigkeit) auf allen Ebenen der Wahrnehmung:

  • visuelle, auditive, kinästhetische, olfaktorische und gustatorische Sinne (VAKOG)
  • Nozizeption (Schmerzempfindung)
  • Vestibulärsinn (Gleichgewicht)
  • Propriozeption (Körperempfindung / Tiefensensibilität)
  • Autonomes Nervensystem (Sympathikus, Parasympathikus)
  • alle Handlungstendenzen/ Cluster (Alltag, Gefahrenabwehr, Bindung, Sexualität, Fürsorge, Zugehörigkeit, Nahrungsaufnahme, Entspannung etc.)
  • die daraus folgenden Ego States als integrierte und bewusste Persönlichkeitsanteile mit ihren jeweiligen Gefühlen (Intensität, Gleichzeitigkeit), Gedanken (Erinnerungen, Erwartungen, Vorstellungen), Verhaltensweisen und Impulsen.

Eine kohärente Synthese kann durch traumatische Erfahrungen oder anhaltende soziale oder emotionale Belastungen bzw. Vernachlässigung in Kindheit und Jugend gestört werden, da die integrativen Kapazitäten niedrig und das Verknüpfen und Differenzieren in der Situation nicht oder nur teilweise erfolgt. Dies führt zu – entsprechend der Intensität der Traumatisierung – doppelter, dh. kobewusster Synthese verletzter Anteile, bis zu sequenzieller, d.h. fragmentierter Synthese (DIS) mit füreinander amnestischen Anteilen. Die Synthesefähigkeit repräsentiert also das Dissoziationskontinuum (PTBS, kPTBS, pDIS, DIS) und kann aufgrund der überforderten Integrationsfähigkeit als Überlebensstrategie verstanden werden, da die Dissoziation das Überleben sichert (dort & damals). Dabei kann es zu Depersonalisation, Derealisation, Identitätsunsicherheiten und Amnesien kommen, wobei die verletzten/fragilen Anteile durch Intrusionen, Flashbacks oder andere, unterschiedliche Sekundärsymptome (Depression, Ängste, Panik, Zwänge, Aggressionen, Somatisierungen etc.) auf sich aufmerksam machen und nach Integration suchen, während wir weiterhin vermeiden und darum bemüht sind, die Dissoziation, sprich das Verlangen, das eigene Leben zu schützen, aufrecht zu erhalten (hier & jetzt).

Bei einer strukturellen Dissoziation (DIS) haben die verschiedenen Anteile kein Bewusstsein füreinander und sind amnestisch bezüglich der jeweiligen Erfahrungen und sequenziellen Synthesen aller anderen Anteile. Es existieren mindestens 2 Persönlichkeitsanteile mit jeweils zugehörigen, verletzten Anteilen. Ein Beispiel wäre das Erstaunen darüber, wo die Orangen in der Küche herkommen, die man überhaupt nicht mag. Ein Persönlichkeitsanteil hat sie eingekauft, ein anderer wundert sich und kann sich an den Gang in den Supermarkt nicht erinnern. Hier wäre der erste Schritt, aus der dissoziierten Ich-Perspektive der einzelnen Anteile Stück für Stück in eine Wahrnehmung von WIR zu kommen, das innere System zu erforschen und alle Anteile miteinander bekannt zu machen, wobei dies primär in Alltagssituationen geübt werden sollte, bevor traumatisches Material bearbeitet wird.

Erst wenn es gelingt, dass alle Anteile kobewusst sind und es eine Kooperationsbereitschaft im System gibt, ist kohärente Synthese möglich. Diese findet unbedingt fraktioniert statt, dh. in kleinen Schritten, auch Titration genannt. Wichtig ist hier die Regulation mit Hilfe von Metaphern als Dosierungshelfer, sodass langsam und der Integrationsfähigkeit aller Anteile gemäß vorangeschritten wird, um eine Re-traumatisierung durch zu schnelle bzw. zu intensive Synthese zu vermeiden. Das heißt, dass Erinnerungsstücke (dort und damals synthetisierte Fragmente) wie Puzzleteile gesammelt und dann Stück für Stück zu einem kohärenten Bild zusammengesetzt werden. Hierbei ist wichtig zu beachten, dass wir uns gerne überschätzen und schnell viel erreichen wollen, sobald die Vermeidung überwunden wurde und die Neugier überwiegt, da wir das Ausmaß des Erlebten noch nicht vollständig erinnern oder realisieren (personifiziert/präsentifiziert).

Sobald unsere Wahrnehmung für andere Anteile sowie die Wahrnehmung der Anteile untereinander durchlässiger und ko-bewusst ist, ist es besonders wichtig, die Selbstreflektivität und Perspektivübernahme zu fördern und dabei gleichzeitig immer alle Anteile zu adressieren. Die verschiedenen Anteile haben idR. ganz eigene Ziele, die durchaus auch gegensätzlich sein können, sodass gegenseitiges Mitgefühl, Verständnis, Bezeugen und demokratischer Umgang (Kooperation) untereinander die Basis für eine kohärente Synthese sind. Die Frage: Wer will was wofür? ist unumgänglich, um schrittweise aus der 3PP über die 2PP in die 1PP und aus dem WIR zu der Erkenntnis „Das bin alles ICH“ zu gelangen. Je mehr wir zu uns nehmen können, umso mehr werden die verletzten Anteile entlastet und die Symptome verschwinden. Wenn die verletzten Anteile erkennen, dass die traumatische Situation vorbei ist (dort & damals), sie sicher sind (hier & jetzt) und sie die fehlende Fürsorge und Wahrnehmung erhalten, kann die Anpassung der pathologischen Überlebensstrategien in adäquate und zeitgemäße Handlungstendenzen gelingen.

Die Therapeutin arbeitet hierbei als Coach und hilft insbesondere zu Beginn durch Modelllernen zu zeigen, wie Fürsorge, Mitgefühl und Anerkennung für die verletzten Anteile gelingen kann, sodass diese integrative Arbeit zunehmend eigenständig bewältigt werden kann. Da diese Arbeit ein hohes Maß an mentaler Energie benötigt, ist es ausgesprochen wichtig, vor der Integrationsphase für ausreichend Stabilisation zu sorgen, Ressourcen und Erfolgserlebnisse bewusst zu machen, sodass ausreichend positives Gegengewicht (mentale Energie) für das Halten und Annehmen der traumatischen Erfahrungen vorhanden ist.